J. Jornod: Les magasins Gonset et la Suisse occidentale

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Titel
La conquête des clients. Les magasins Gonset et la Suisse occidentale (1920–1960)


Autor(en)
Jornod, Joël
Erschienen
Neuchâtel 2019: Éditions Alphil
Anzahl Seiten
448 S.
von
Matthias Ruoss, IIEDH, Universität Fribourg

Die Welten des Zwischenhandels sind gross, und ebenso unergründlich. Auch oder vielleicht gerade in Zeiten von E-Commerce sind die Absatzlogistiken und Distributionskanäle äusserst verworren. Auf welchem Weg und mit welcher Hilfe das Rezensionsexemplar vom Neuenburger Verlag Editions Alphil zu mir nach Hause gelangte, kann nicht leicht rekonstruiert werden. Doch es sind nicht allein unübersichtliche Transportrouten und Lieferservices, die den Zwischenhandel und das Phänomen der Warenzirkulation zu einem vernachlässigten historischen Forschungsgegenstand machen. Vielmehr ist es das wirtschaftswissenschaftliche Konzept des Marktgleichgewichts, das die Tauschverhältnisse zwischen Angebot und Nachfrage systematisch ausblendet. Auch die Geschichtswissenschaften reproduzieren mit ihren fest etablierten Erkenntnisinteressen an den industriellen Produktions- und Arbeitsweisen sowie den Praktiken und Kulturen des Konsums dieses harmonische ökonomische Bild – und verfestigen es mit Begriffen wie «Industriegesellschaft» oder «Konsumgesellschaft». So etwas wie eine Einzelhandelsgesellschaft findet hingegen kaum Beachtung. Und auch ihre Geschichte ist schlecht erforscht. Umso willkommener ist die Studie über die Ladenkette Gonset, das Joël Jornod 2017 als Cotutelles de thèse (Neuchâtel/Toulouse) verteidigt hat.

1870 in Yverdon vom Ehepaar Paul Henri und Louise Gonset als Kleidergeschäft gegründet, etablierte sich das Familienunternehmen zuerst vor Ort und Umgebung, in der Zwischenkriegszeit dann mit Zweigniederlassungen in vielen kleineren Ortschaften der gesamten Westschweiz (eine Ausnahme ist Genf). Nach dem frühen Tod ihres Ehemannes lag die unternehmerische Verantwortung rund zwanzig Jahre ausschliesslich bei Louise Gonset, die daneben zwei junge Kinder betreute, wovon eines früh starb. Nach einer kaufmännischen Ausbildung stiegen ihr Sohn Charles 1891 und dessen Frau ebenso ins Geschäft ein wie später deren vier Kinder.

Wie erzählt Joël Jornod die Geschichte des Detailhandelsunternehmens Gonset, das neben Kleidern auch Stoffe und Accessoires verkaufte, nach dem Motto: «Vendre un peu de tout à presque tous» (S. 353)? Die Studie ist an der Schnittstelle von Unternehmensgeschichte und Wirtschaftssoziologie angesiedelt. Sie ist also einer interdisziplinären Forschungsperspektive verpflichtet, die vor allem die Entstehung des Filialnetzes aus insgesamt 21 Boutiquen, Läden, Magazinen und einem sogenannten «petit grand magasin» (S. 308) sowie die Techniken der Kundengewinnung untersucht. Die Firmengeschichte dient Jornod dabei als Linse, durch die er allgemeine Transformationen des Zwischenhandels etappenweise als Kontextgeschichte präsentiert: angefangen mit den krisenhaften 1930er Jahren, in denen eine antisemitisch informierte Mittelstandspolitik ein bis 1945 immer wieder erneuertes Warenhausverbot durchsetzte, über die Kriegs- bis hin zu den boomenden Nachkriegsjahren, in denen die sogenannte Konsumgesellschaft in der Schweiz entstand. Die Arbeit setzt also nach dem Ersten Weltkrieg ein und endet 1960. Gerahmt wird die Untersuchung durch eine sehr umfassende, momentan vielleicht aktuellste Darstellung des Forschungsstandes zum System des Detailhandels in der Schweiz sowie zahlreiche Tabellen und Grafiken mit Unternehmensdaten von Gonset. Die Quellen für seine Erzählung besorgte sich Jornod mehrheitlich aus dem Privatarchiv des mittlerweile im Immobiliengeschäft tätigen Unternehmens.

Im Untersuchungszeitraum verfolgte das 1922 in eine Aktiengesellschaft umgewandelte Gonset-Unternehmen diverse Strategien zur Gewinnsteigerung oder, so der Titel des Buches, zur Eroberung der Kundschaft. Zum einen gründete es gezielt Niederlassungen in Dörfern und Kleinstädten wie Fleurier, Orbe oder Sainte-Croix, indem es bestehende Einrichtungen billig aufkaufte. Damit entzog es sich der Konkurrenz grossstädtischer Warenhäuser. Zur Diversifikation stieg Gonset auch bereits früh ins Immobiliengeschäft ein. Weiter stellten einzelne Filialen Reisende und Agenten an, welche die Waren in den Umgebungen und teils auch in deutschsprachigen Gegenden bewarben und vertrieben. Andere entschieden sich für den Versandhandel auf Basis von Prospekten, bauten die Schaufensterdekorationen mit professioneller Hilfe aus oder schalteten Reklamen in Lokalzeitungen. Hinzu kamen wettbewerbsbeschränkende Verträge im Rahmen von Kartellbildungen mit ortsansässigen Konfektionshäusern und Textilunternehmen. Und schliesslich politisierte Gonset auch auf nationaler Ebene in der Union suisse des grands magasins et maisons d’assortiments gegen die Sonderbesteuerung, deren Präsidium Charles Gonset 1932 übernahm.

Insgesamt arbeitet Jornod ein nuanciertes Bild unternehmerischer Massnahmen und Politiken heraus, das er immer wieder gekonnt durch Vergleiche mit anderen Detaillisten wie Migros, Globus oder Loeb differenziert. Doch er historisiert die Unternehmensstrategien nicht, summiert sie vielmehr auf. Zwar präsentiert er sie in chronologisch geordneten Kapiteln, eine kritische Auseinandersetzung fehlt hingegen. Die Entscheidungsträger sowie das Personal bleiben profillos oder verblassen in den teils langfädigen Kontextualisierungen, Konflikte kommen ebenso wenig vor wie gescheiterte Expansionsversuche (die sich hinter Zahlenreihen erkennen lassen). So endet die Untersuchung bezeichnenderweise in der Zeit, als sich die Konkurrenzverhältnisse im Detailhandel durch den Auftritt neuer, auch internationaler Grossisten verschärften. Und die eroberten Kunden, diejenigen also, die Gonset den Gewinn sicherten, finden als historische Subjekte schliesslich überhaupt keine Erwähnung oder verschwinden hinter sozioprofessionellen Kategorien. Diese Auslassungen sind teils der Quellenlage, teils der interdisziplinären Herangehensweise geschuldet. Doch letztlich hat sich der Autor dafür entschieden, eine Erfolgsgeschichte zu schreiben, die er im letzten Kapitel mit Gewinnzahlen untermauert.

Zitierweise:
Ruoss, Matthias: Rezension zu: Jornod, Joël: La conquête des clients. Les magasins Gonset et la Suisse occidentale (1920–1960), Neuchâtel 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (1), 2021, S. 211-212. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00080>.

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